Der Start des “rheinischen Kabarettisten” Konrad Beikircher

Sarens, Frau Walterscheidt…
Mit dieser harmlosen Anrede pflegt die Chefin der rheinischen Bäckerei (alias Konrad Beikircher) ihre gnadenlos monologisierenden Dialoge über Gott und die Welt zu eröffnen.
Immer geht es dabei um den rheinischen Herrgott und die rheinische Welt. Die Geschichten um Frau Walterscheidt, die eigentlich Frau Roleber heißt, nahmen 1984 ihren Anfang und waren der Start des “rheinischen Kabarettisten” Konrad Beikircher. Bis 1991 wurden sie wöchentlich auf WDR 2 ausgestrahlt, aber auch jetzt noch überkommt Konrad Beikircher hin und wieder die Lust, eine “Walterscheidt” von der Bühne zu schmettern.
Die Figur der Frau Walterscheidt entstand von der Stimme ausgehend: eher keifend gesprochen, verkörpert sie den Typus einer kleinkarierten, neidischen, von sich selbst überzeugten, monologisierenden Bäckerin, die glaubt, alles im Griff zu haben. Was aber nicht immer stimmt.

Tja, das war der Anfang

Also mein Anfang als Kabarettist. Bis dahin hatte ich eher komponiert, z.B. viele Gedichte von H.C. Artmann vertont, als auch nur einen Gedanken an Sprachkabarett zu verschwenden. Von meinen Artmann-Vertonungen, mit denen ich zwischen 1978 und 1982 aufgetreten bin, gab es damals zwei LPs, die mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit erschienen sind (1980 und 1981), die aber immerhin den Plattenschrank einer großen Verehrerin H.C. Artmanns erreicht hatten: Elke Heidenreich. Drei Jahre hatte sie versucht, den Komponisten und Sänger dieser Lieder ausfindig zu machen, bis sie endlich fündig wurde, und das war so: ich sitze im Januar 1984 in meinem Büro im Siegburger Knast und bin in ein psychologisches Gespräch mit einem meiner ‘Knackis’ vertieft als das Telefon klingelt. „Beikircher“ „Tach auch, spreche ich mit Konrad Beikircher?“ ich, etwas verwundert, weil ich denke, oha, jetzt wird’s formal, sicher ist das die Sachbearbeiterin irgendeines Gerichts die einen Gutachtenauftrag loswerden will „Ja, am Apparat“ „Hach, so ein Glück aber auch, hier ist Heidenreich, Elke Heidenreich“ „—–???—–„ „Ja, ja, DIE Elke Heidenreich“ „äh“ dann schwebe ich zur Decke, sehe die ganze Welt von oben und sinke langsam wieder in den Sessel „äh, wirklich DIE Elke Heidenreich?“, naja, wat soll ich Ihnen saren, ein Wort jov dat andere, jedenfalls endete es damit, dass sie sich in diesem Telefonat als Fan meiner Artmann-Lieder outete und mich in die WDR – Sendung „Unterhaltung am Wochenende“ einlud. Ich kam dahin, live alles, Gitarre unterm Arm und sang und trällerte und schön war’s. Und im März nochmal. Ich trällerte wieder und erzählte am Mikrophon eine Geschichte, die ich kurz vorher in der Zahnarztpraxis erlebt hatte. Die Geschichte einer rheinischen Frau, die mit mir und einem alten Herrn im Wartezimmer saß. Der alte Herr hatte eine entsetzlich dicke Backe und stöhnte vor sich hin. Klar war: er wollte nicht angesprochen werden. Die Frau jedoch nahm ihn, kaum dass sie Platz genommen hatte, in die Zange: „Wat haben Sie dann? Eiter? Tut et weh? Jo? Ober- oder Unterkiefer? Unterkiefer? Dann jeiht dat jo noch ne. Dat hatte mein Mann auch, ne, jrauenhaft saren ich Ihnen, nur bei dem war dat oben. Und do jing der Eiter irjendswie, haben die nie erausjekriegt, ne, durch der Knochen noch oben in et Jehirns, wat soll ich Ihnen saren: drei Daach später wor dä duut!“ Zum Glück für die Frau wurde der alte Herr in dem Moment zur Behandlung gerufen… Ich erzählte das also in der Sendung und nachher sprach mich der Redakteur, Hilmar Bachor, darauf an und ob ich mir vorstellen könne, so eine rheinische Frauenfigur in regelmäßigen Glossen jeden Samstag zum Volk sprechen zu lassen. Natürlich sagte ich ja und Elke half mir mit Tipps, so, dass ab September 1984 jeden Samstag Frau Roleber/Walterscheidt ihren Kommentar zum Wochengeschehen, dem Leben und allem gab. Es war eine ziemlich böse Figur, die aber voll von dem war, was man so die Gemeinheiten des Lebens nennt. Entsprechend beliebt wurde die Figur in den acht Jahren, die sie lebte. Einige der Geschichten habe ich dann 1986 bei rororo-tomate als Büchlein veröffentlichen können (leider vergriffen) und kurz darauf habe ich eine LP für den Bouvier-Verlag aufgenommen, die es in erweiterter Form heute als Doppel-CD immer noch gibt. Frau Roleber, rheinisch und schwärztens katholisch wenn auch gnadenlos realistisch, was die Ausübung des Glaubens angeht, telefoniert immer mit Frau Walterscheidt, evangelisch, zugezogen und Beamtensgattin. Das allein gibt ja schon viel Stoff her, weil beide einander zu missionieren versuchen. Diese Geschichten haben mich in die schwarzen Untiefen des rheinischen Daseins geführt, was mir immer sehr viel Spaß gemacht hat. Nach acht Jahren allerdings wor et jot und ich habe in einer kleinen Leichenfeier die gute Frau Roleber an einem Karsamstag in der Unterhaltung am Wochenende verscheiden lassen. Heute allerdings denke ich manchmal dran, sie wieder aufleben zu lassen. Wenn Sie das auch möchten, schreiben Sie mir doch eine e-mail dazu!

Produktinformation

  • Erscheinung: 19.11.2001
  • Doppel-CD
  • Spieldauer: 1 Std. 42 Min.
  • Label: tacheles!/Roof (Indigo)